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Guide: Digitale Comics kaufen, sammeln und lesen


Die Digitalisierung macht auch vor Comics nicht Halt. Was Netflix für Bewegtbild, Spotify für Musik und Kindle für Bücher ausgelöst hat, verläuft in diesem Bereich allerdings deutlich langsamer. Die Gründe liegen u. a. darin, dass Comics und Graphic Novels trotz des Superhelden-Booms ein nischigeres Segment darstellen, das von Sammlern geprägt ist und z. B. in der Nische der franko-belgischen Comics und verwandter Subgenres eher traditionell eingestellt ist. Physische Sammlungen und ein Hang zur Nostalgie vertragen sich mit digitalen Services nicht immer bzw. lassen sich nicht vollständig ablösen oder ersetzen. Ich selbst lese sehr gern digital, pflege aber auch eine physische Sammlung.

Nichtsdestotrotz gibt es einige digitale Angebote und wer im Besitz eines Tablets ist, kann sich auf ein tolles Leseerlebnis freuen. Für mich war dies der Hauptgrund, mir ein iPad zuzulegen und ich lese wöchentlich Comics darauf. Eine große Sammlung im Urlaub dabei zu haben, zeitnah auf amerikanische Releases zuzugreifen und zu wirklich günstigen Preisen (dank regelmäßiger Sales) in viele Serien reinzuschnuppern, ohne mein Regal vollzustellen oder wieder verkaufen zu müssen, waren für mich die Hauptgründe. Gute Auflösung und starke Farben dank Hintergrundbeleuchtung runden dies ab.

Comixology library
Meine Bibliothek bei Comixology.

Das verlagsübergreifende "Netflix für Comics" gibt es allerdings nicht (mehr) - diesen Umstand werde ich beim Blick auf Comixology erläutern, dessen Update im Februar 2022 wie ein Beben im Markt war und besonders viele europäische Leser verunsichert hat. Ich möchte euch einen Überblick bieten, welche passenden Apps es gibt, wo Vorteile und Nachteile liegen und was es zu beachten gilt.

Zunächst möchte ich aber zwei Begriffe erklären:


Guided View

Die von Comixology eingeführte "geführte Betrachtung" bietet die Möglichkeit, nicht nur seitenweise, sondern Panel für Panel zu lesen. Die Seite wird in Einzelbilder aufgeteilt, die nacheinander betrachtet werden - größere Bilder oder Doppelseiten werden in semantisch sinnvolle Abschnitte unterteilt, die den Leser durch Bilder und Sprechblasen führen. Besonders bei kleinen Screens wie dem Smartphone macht die Funktion Sinn, da sie manuelles Zoomen erspart. Ich persönlich nutze Guided View sehr viel, auch auf dem Tablet bietet es zusätzlichen Lesekomfort. Es hängt teils vom künstlerischen Stil des Titels ab, wie gut die Nutzung funktioniert, bei Manga steht dieser Modus meist nicht zur Verfügung.


DRM

DRM steht für Digital Rights Management und stellt, simpel gesagt, die rechtliche Grundlage von Käufen auf heutigen Plattformen wie Kindle und Steam dar. Normalerweise erwerben wir Käufer auf diesen Plattformen nicht das Medium selbst, sondern lediglich das Recht zur Nutzung des Mediums auf ebendieser Plattform. Wir haben keine Möglichkeit, unsere Medien als Backup zu speichern oder unabhängig von der Plattform zu nutzen. Ein großes Problem, möchte man eine Sammlung pflegen. Wer kann schon Dinge sammeln, die ihm nicht gehören? Im Playstation Store, in dem auch Filme verkauft werden, läuft bspw. in diesem Jahr die Lizenz des Filmverleihs Studiocanal aus. Als Konsequenz verschwinden deren Filme vollständig aus dem Store und auch bereits erworbene Filme können nicht mehr abgespielt werden. Die wenigsten Anbieter bieten sogenannte DRM-free Downloads an: wenn diese Option verfügbar ist, können wir nach dem Kauf eine Sicherungskopie herunterladen, auf einem Medium unserer Wahl speichern und überall lesen, wo wir möchten - auch wenn die Verkaufsplattform eines Tages nicht mehr die Rechte besitzt. Diese Option ist bei allen großen Anbietern und Top-Verlagen nahezu ausgestorben, was sehr schade ist. Dies treibt voraussichtlich einige Leser zu illegalen Downloadquellen. Ob eine Rückkehr zu mehr DRM-freien Downloads kommt, ist sehr fraglich. Ich möchte aber vorab dafür sensibilisieren, was ein digitaler Kauf bedeutet und was eben nicht: Kauf heißt nicht Besitz.


Comixology

Der Big Player, der vor vielen Jahren bereits von Amazon akquiriert wurde, bietet Zugriff auf alle namhaften amerikanischen Verlage. Von DC über Image bis hin zu vielen Manga ist alles dabei - allerdings primär auf Englisch, teils auch Französisch. Deutsche Titel können über Kindle hinzugefügt werden.

Comixology war bis vor kurzem das, was dem "Netflix für Comics" am nächsten kam. Ich könnte jetzt darüber schwelgen, wie toll das Tag-System (nach Künstlern, Charakteren, Story-Arcs), die Datenbank, die wöchentlichen Sales, Smart Lists, der Reader und die teilweise DRM-freien Downloads waren - aber das ist die Mühe nicht wert. Denn seit Comixology Anfang 2022 komplett in Kindle integriert wurde, ist davon kaum etwas übrig.

Comixology discovery
Beim Blick in die (deutsche) App kommen einem meist die Tränen.

Besonders schwer wiegt, dass in der EU die IMDB-artige Datenbank nicht mehr zur Verfügung steht, womit das Stöbern nach Comics in der App nicht möglich ist. Auch der Reader ist seit dem Update etwas ruckeliger, in Zwischenansichten schlechter aufgelöst und im Browser nicht in der Lage, eine Doppelseite darzustellen. Neue Titel können über Amazon, außerhalb der App erworben werden. Natürlich ohne eine Comixology-Startseite (die Website wurde ebenfalls abgeschaltet), sondern über die Suchfunktion eines Stores, der weder inspiriert, dem Medium in seinen Metadaten gerecht wird oder eine Übersicht über neue Releases bietet. Tut alles ziemlich weh. Es wirkt leider, als ob bei Amazon Mitarbeiter verantwortlich sind, die Comicleser nicht verstehen wollen und Usability hassen. Ich muss das so drastisch schreiben, denn dass heutzutage so sehr an einer Zielgruppe vorbei gewirtschaftet wird, ist schier unbegreiflich und unzeitgemäß. Zu allem Überfluss wird seitdem meine Kindle-App von meiner Comicsammlung geflutet, denn dort sind alle Exemplare (völlig redundant) zusätzlich vorhanden.

Eine ausführliche Zusammenfassung der Misere bietet dieser Artikel im Tagesspiegel.

Einen Lichtblick bietet zumindest Comixology Unlimited - das Comic-Pendant zu Kindle Unlimited, mit dem der Zugriff auf eine Vielzahl von Titeln per monatlichem Abo möglich ist (aktuell nur USA).

Seit dem Comixology-Fiasko musste ich mich intensiver damit befassen, welche Alternativen es gibt und vermeide es, auf Comixology Geld zu lassen. Ich nutze seitdem mehrere Apps, lese mehr Print und nutze regelmäßig unsere Zentralbibliothek (was ich euch auch empfehlen möchte, denn die Stadtbibliotheken bieten eine vielfältige Auswahl an).


Marvel

Die Marvel-App ist ein aktuell erfreuliches Highlight, denn diese setzt beinahe 1:1 auf dem früheren Comixology-Interface auf. Discovery-Funktionen, Suche nach Story-Arcs oder Künstlern, praktisch alle aktuellen und viele klassische Serien - für Marvel-Fans gibt es eine großartige Auswahl, auch Star Wars ist enthalten. Einschränkung ist allerdings, dass alle Titel nur in englischer Sprache verfügbar sind. Wer auch auf Englisch liest bekommt viel geboten.

Marvel App Discover
Die Marvel-App lädt zum tiefen Eintauchen und Entdecken der Superheldenwelt ein.

Neben den tollen Entdeckungsfunktionen ist auch der Reader inkl. Guided View und hoher Auflösung genau so, wie er sein sollte. Ehrlich gesagt läuft die gesamte App samt regelmäßiger Sales-Aktionen so rund, dass sie das aktuelle Vorbild für jeden Verlag sein sollte. Wie wir noch sehen werden, kommt danach aber nicht mehr viel auf diesem Niveau. Wer sich nicht davon abschrecken lässt, für nur einen Verlag eine extra-App zu nutzen, bekommt hier ein Bomben-Paket.

Oben drauf gibt es auch aus Deutschland die Möglichkeit, Marvel Unlimited zu nutzen und für $60 im ersten Jahr unbegrenzt Marvel zu lesen. Habe dies selbst noch nicht getestet, da ich aktuell mehr Image und Dark Horse lese, für Fans aber sicherlich ein Muss.


Dark Horse

Den amerikanischen Verlag Dark Horse kennt man insbesondere durch Serien wie Hellboy, The Umbrella Academy, Black Hammer und The Witcher. Auch die Werke von Frank Miller und Stan Sakai sind hier zu haben. Die gleichnamige App des Verlags bietet Zugriff auf praktisch alle Titel in englischer Sprache und dient dabei als Shop, Reader und virtuelles Bücherregal.

Für Fans dieser Serien ist Dark Horse ein ansprechendes Angebot. In Funktionalität und Nutzererlebnis ähnelt es der Marvel-App, wenn auch Aufmachung, Nutzerführung und Leserlebnis in Guided View einen Hauch weniger ausgereift wirken. Das ist Jammern auf hohem Niveau, Marvel hat all die Faktoren im direkten Vergleich aber weiter perfektioniert. Als Nutzer erhält man die neuesten Releases zum Stichtag und ca. wöchentlich neue Sonderangebote. Die Titel liegen sowohl als Einzelhefte, Sammelbände oder sogar Omnibus vor und wandern die direkt in eure digitale Bibliothek. Ein Abo- oder Unlimited-Modell gibt es hier allerdings nicht.

Dark Horse App
Dark Horse bietet besonders Hellboy-Fans wie mir einen sicheren Hafen.

Unterm Strich kann ich Dark Horse zum Lesen digitaler Comics sehr empfehlen. Nach Marvel ist dies die beste exklusive Verlags-App. Ich bin großer Fan des Hellboy-Universe und allein dafür wird die App bei mir noch lange in Benutzung bleiben (auch wenn ich den einen oder anderen Sonderband gern im Regal stehen habe).


izneo

Der Anbieter izneo ist mir erst bekannt, seit Comixology sein Update des Todes vollzogen und mich damit auf die Suche nach neuen Möglichkeiten geschickt hat. Hier lassen sich digitale Ausgaben in verschiedenen Sprachen erwerben, was ein großer Vorteil ist. Beim Wechseln der Sprache stehen unterschiedliche Titel zur Auswahl, bspw. ist auf Deutsche einiges von DC mit dabei, da Panini hier sein Sortiment vertreibt. Es lohnt sich also, zwischen den Sprachen zu wechseln, um das Angebot voll auszuschöpfen.

Insgesamt gibt es eine abwechslungsreiche Auswahl europäischer, amerikanischer Comic- und Manga-Reihen sowie einige Graphic Novels. Durch das Engagement von von u. a. Panini, Egmont, Carlsen, Tokyopop und Splitter gibt es ein rundes Paket, in dem z. B. auch franko-belgische Comics vertreten sind. Wie gut diese oft großformatigen Alben auf dem Tablet funktionieren, kann ich aus eigener Erfahrung noch nicht berichten.

Die App selbst ist in der Benutzerführung nur mittelmäßig. Die Ansicht der eigenen Bibliothek ist sehr unübersichtlich und weder platzsparend noch optisch ansprechend geraten. Auch im Shop gibt es fragwürdige Designentscheidungen, lieblose Präsentationen der Titel und minimalste Infos. Die Optik und Usability sind leider nicht das Steckenpferd von izneo. Die Leseansicht ist funktional, eine Guided View gibt es nicht. Hier könnte in Zukunft bestimmt mehr gehen.

izneo app
izneo bietet eine große Auswahl deutschsprachiger Titel und punktet besonders durch Verlage wie DC und Splitter in seiner Auswahl.

Wer auf Deutsch oder auch Niederländisch, Französisch oder Italienisch lesen möchte, bekommt ein insgesamt solides Paket, dass zwar unspektakulär, aber mangels Konkurrenz, in diesen Sprachen fast unumgänglich ist. Besonders die Verfügbarkeit der Splitter- und DC-Titel (wenn auch nur einiger) sprechen dafür. Auch die Welt des Manga kann hier ziemlich gut erschlossen werden. Es ist etwas enttäuschend, dass izneo sein Potential mit Nutzerführung und hakeliger Bedienung verspielt.


IDW

Auch der amerikanische Verlag IDW, der Serien wie Transformers, Turtles, Star Trek und Sonic veröffentlicht, bietet seine eigene Plattform in Browser und App an. Die angebotenen Marken gefallen mir durchaus gut, insbesondere die laufende Turtles-Serie ist der Hammer. Umso ärgerlicher, dass die angebotene App von vorne bis hinten enttäuscht. Vom ersten Navigieren durch den Shop über schlecht aufgelöste Voransichten bis zu einem sehr spartanischen Reader - da hätte man es vielleicht besser gelassen. Eigentlich unbegreiflich, wie ein solches Projekt verwirklicht werden kann, Entwicklung und Vertrieb einer solchen Plattform müssen kostspielig sein. Ich muss von der IDW-App abraten, da im Vergleich hierzu selbst Comixology gut funktioniert. Am besten, man greift bei Interesse am IDW-Sortiment zu den gedruckten Ausgaben.


MANGA Plus

Dem Thema digitale Manga lässt sich ein eigener Beitrag widmen, so umfangreich ist die Auswahl. In Japan ist es mittlerweile üblich, dass neue Kapitel per Smartphone während der Pause und in der Bahn gelesen werden. Der Clou ist, dass viele Anbieter die Titel kostenlos und werbefinanziert zur Verfügung stellen. Für Sammler weniger interessant, zum Reinschnuppern und Nachholen von Klassikern aber sehr komfortabel.

In diesem Kontext möchte ich MANGA Plus vorstellen und empfehlen. Hier gibt es eine große

MANGA Plus
In den Tiefen von MANGA Plus sollte jeder Manga-Liebhaber etwas finden.

Auswahl neuer und klassischer Titel: Death Note, Kenshin, Bleach, Chainsaw Man, Jujutsu Kaisen, Dragon Ball, um nur ein paar zu nennen. Gelesen wird kapitelweise, wobei hier zwei mögliche Einschränkungen ins Spiel kommen: in manchen Fällen werden wöchentlich neue Kapitel veröffentlicht, die zeitlich begrenzt gelesen werden können. Ihr könnt sie zwar kostenlos öffnen, ab einem definierten Datum könnt ihr die Kapitel aber nicht mehr öffnen. In anderen Fällen liegt die Einschränkung darin, dass zwar alle Kapitel des Titels von Anfang vorhanden sind (z. B. bei Chainsaw Man), diese aber nach einmaligem Lesen geschlossen werden. Ihr könnt also jedes Kapitel nur ein einziges Mal lesen und nicht zurückspringen. Am Ende der Kapitel folgen Werbeanzeigen, die an dieser Stelle aber nicht das Leseerlebnis stören.

Für mich ist es ein großer Spaß, mit MANGA Plus alte Titel nachzuholen oder testweise in neue Serien zu schauen. Aktuell lese ich Rurouni Kenshin und ohne die App wäre ich wohl nicht in den Genuss gekommen.


DC Universe Infinite

Unter diesem Namen stellt DC Comics all seine Titel per monatlichem Abo zur Verfügung und bietet damit "The Ultimate DC Membership" an. Aber nicht für uns in Deutschland. Zuletzt wurde der Service neben den USA auch in Brasilien, Kanada, Australien und Neuseeland ausgerollt. Für die EU wurde noch kein Start terminiert. Vermutlich halten laufende Verträge mit Publishern wie Panini das Unterfangen auf, es bleibt also aktuell nur eine vage Hoffnung. 2022 wird das sicherlich nichts mehr.

Zumindest vertreibt Panini einige DC-Titel auch digital. Diese sind wie erwähnt über izneo, aber auch Apple Books, Google Play Store und Kobo zu beziehen.

DC Universe Infinite
Bleibt abzuwarten, wann DC Universe Infinite auch uns in Europa angeboten wird.

Ich hoffe, euch damit einen guten Überblick und vor allem Lust auf das Thema gemacht zu haben. In Deutschland ist die Landschaft längst nicht ausgereift, bietet aber trotz einiger mittelmäßiger oder hierzulande fehlender Services eine Menge Spaß. Hinzuzufügen kann ich, dass es viele Ausgaben auch bei Apple Books und im Google Play Store gibt - da diese Apps aber nicht zum Lesen von Comics optimiert sind, war mein Erlebnis eher durchwachsen. Mit den hier vorgestellten Services gibt es aber einige interessante Türen in die Welt der digitalen Comics.


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