
Das Ultimate Universum wurde anno 2000 von Marvel gestartet, um einerseits neuen Leser*innen einsteigerfreundliche Reihen zu bieten, für die man keine jahrzehntelange Vorbildung brauchte und andererseits spannende alternative Versionen der bekannten Figuren zu schreiben. Prominentester Superheld aus diesen Tagen ist sicherlich der damalige Ultimate Spider-Man Miles Morales. Aber auch die Fantastic Four, Iron Man und die Ultimates, quasi das Pendant zu den Avengers, konnten im Ultimate Universum jahrelang begeistern. Schauplatz von alldem war zunächst die Erde 1610, von der nach Events wie Cataclysm (2013) und Secret Wars (2015) nichts mehr übrig war, sodass wir nicht nur alle Charaktere aus diesem Universum verloren hatten (bis auf u. a. Miles Morales) , sondern auch alle zugehörigen Heftserien eingestellt wurden.
2023 erschien dann in den USA die vierteilige Heftserie Ultimate Invasion von Jonathan Hickman. In ihr kreiiert der Maker, alias der böse Reed Richards von Erde 1610 mithilfe einer Höllenmaschine namens Immortus Engine das neue Ultimate Universum nach seinen Vorstellungen. Damit ist Erde 6160 (Vorsicht Zahlendreher) am Start und der Weg für neue Ultimate-Serien geebnet. Hickman, der mit der Krakoa-Ära der X-Men bewiesen hat, wie gekonnt er verschachteltes Worldbuilding betreiben kann und Leser*innen selbst in komplexeste Welten entführen kann, war prädestiniert für das Projekt. In Deutschland hat nach besagter Ultimate Invasion nun die ultimative Spinne aus der Nachbarschaft Hallo gesagt und wurde als Paperback mit der Nummer 1 mit dem Titel „Familienvater“ bei Panini veröffentlicht. Für die nächsten Titel Ultimate X-Men (Peach Momoko), Ultimate Black Panther (Bryan Edward Hill) und Ultimates (Deniz Camp) standen bis dato noch keine deutschen Releasetermine fest. Also widmen wir uns zunächst dem deutschen Band Nummer 1 von Ultimate Spider-Man.
Peter Parker lebt mit Frau Mary Jane und seinen Kindern Richard und May in Uptown Manhattan. Er wurde nie von einer Spinne gebissen, trägt Vollbart und arbeitet als Reporter für die Tageszeitung Daily Bugle - das Medium, das geführt wird vom Duo Jonah Jameson und Ben Parker. Eines Tages kommt es beim Bugle zu einer Neuausrichtung: Auf den Druck von Werbekunden soll die kritische Berichterstattung angepasst werden. Zunächst rebelliert Jonah und schmeißt das Handtuch, kurz darauf auch Ben Parker. Eigentümer Wilson Fisk füllt das Machtvakuum und sorgt für einen harten Kurs innerhalb der Zeitung. Peter gerät zwischen die Fronten: Er bewundert das Rückgrat seiner Mentoren, aber ist auf den Job beim Daily Bugle angewiesen, um Geld zu verdienen.
Parallel dazu hadert er mit seiner Selbstverwirklichung und hat vor kurzem ohnehin eine außergewöhnliche Erscheinung erlebt: In seiner Wohnung erschien des nachts eine holografische Botschaft von Anthony Stark aus einem Paralleluniversum. Er erzählt Peter von einer manipulierten Zukunft und hinterlässt ihm ein geheimnisvolles Paket.
Rein visuell möchte ich den Vergleich zur letzten Eröffnung von Amazing Spider-Man heranziehen, bei der John Romita Jr. den Bleistift geschwungen hat. Der vorliegende Ultimate Spider-Man Band differenziert sich angenehm von dieser Reihe: Kantiger, grobstrichiger, weniger cartoony und rauher kommen die Zeichnungen daher. Das gefällt mir nicht nur subjektiv besser und sieht wirklich gut aus, sondern passt auch gut zur Positionierung und Abgrenzung des Ultimate Universums. Zeichner Marco Checchetto hat hier grandiose Arbeit abgeliefert und auch die Kolorierung von Matthew Wilson rundet das Gesamtbild gut ab. Zwei der sechs Kapitel wurden ersatzweise von David Messina gezeichnet - er unterscheidet sich stilistisch zwar nicht grundsätzlich von Checchetto, arbeitet Figuren und Hintergründe aber weniger detailliert aus, was im direkten Vergleich leider abfällt. Die Kolorierung sorgt dafür, dass die optische Anmutung hier nicht zu sehr aus der Reihe tanzt.

Insgesamt ist Ultimate Spider-Man Band 1 ein hervorragender Auftakt. Ultimate Invasion konnte als Opener des Universums rund um Erde 6160 bereits einen soliden Eindruck machen, aber Hickman brilliert mit Spider-Man noch eine Ecke mehr. Es macht einfach Spaß, Peter Parker zuzusehen, wie er den Spagat aus Spinnenmann und Familienpapa hinbekommen will, sich in Geheimniskrämereien verstrickt und mühsam die ersten Kämpfe bestreitet.
Noch wichtiger ist allerdings, dass alle Charaktere und Plotlines schön ausdefiniert sind: Harry Osborne ist ambivalent, ein bisschen gefährlich und unberechenbar, aber in seinen Motiven durchaus nachvollziehbar. Mit der abgehobenen Superunternehmerin Gwen Stacy an seiner Seite bekommen wir ein abgehobenes, leicht wahnwitziges, aber reizvolles Pärchen vorgestellt. Aktuell ist noch nicht absehbar, wohin deren Reise führen wird.
Auch der Sideplot über die Mediengründung von Jonah und Onkel Ben funktioniert ebenso gut wie das Familiendrama im Hause Parker. Die Dynamik zwischen Jonah und Ben ist unterhaltsam und mt den idealistischen Journalisten mag man sich gerne identifizieren - auch wenn sie nicht immer eine Linie fahren, teilen sie die gleichen Prinzipien. Und in einer Welt, in der Jeff Bezos die Washington Post gekauft hat und nun untersagt, dass die Zeitung trotz jahrzehntelanger Tradition keine Empfehlung zur Präsidentschaftswahl abgibt, ist das Dilemma des Daily Bugle gar nicht weit hergeholt.
Ich hoffe sehr, dass es so erfrischend weitergeht mit Ultimate Spider-Man und freue mich auf die folgenden Reihen in den kommenden Monaten. Also fingers crossed, dass die Verkäufe Panini dazu motivieren auch die weiteren Abenteuer auf Erde 6160 nach Deutschland zu bringen.
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