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Review: Human Target (Panini Comics, 2023)


Human Target, Panini Comics

Tom King ist der Comicautor der Stunde. Seine Beiträge für DC Comics (Mister Miracle, Batman, Supergirl - Woman of Tomorrow) haben das Zeug zu modernen Klassikern. Neben James Tynion IV dominiert der ehemalige CIA-Agent das aktuelle US-Comicgeschäft und konnte dafür nicht wenige Eisner-Awards absahnen. In diesem Jahr gewann er den begehrten Preis zusammen mit Künstler Greg Smallwood für die "Best Limited Series" Human Target. Dies war nicht mein initialer Anlass sie zu lesen, aber Band 2 ist fast parallel zum Preisgewinn in Deutschland bei Panini Comics erschienen. In der bei DC Black Label erschienenen Miniserie aus zwölf Akten, trifft Superheldenunterhaltung auf Hardboiled-Verschwörungsthriller.


Wer oder was ist Human Target?

Christopher Chance alias Human Target hat keine Superkräfte, ist aber ein Meister der Verkleidung, der jedem Mission Impossible Film alle Ehre machen würde. Er nimmt die Identität von bedrohten Geschäftsleuten, Prominenten und Politikern an, um sich als menschliche Zielscheibe Kugeln einzufangen, kidnappen zu lassen oder Gift einflößen zu lassen. Er fängt Angriffe von Attentätern, Terroristen und Assassinen ab. Während sich das eigentliche Opfer in Sicherheit wiegt, nutzt Human Target die Überraschung, um Schurken direkt nach der Tat zu überführen. Wie genau er all dies überlebt und er sich täuschend echt verkleiden kann läuft meist unter dem Motto "Ein Zauberer verrät seine Tricks nicht". Im Gegensatz zur Gerechtigkeitsliga sind die Motive von Chance allerdings vor allem geschäftlicher Natur.

Human Taget ist ohne Frage einer der unbekannteren DC-Charaktere, der seit 1953 regelmäßige, aber überschaubare Auftritte hatte. Sein Debüt feierte er in der Reihe Detective Comics, wo er auch bis in die frühen 80er öfters auftrat und hatte auch in den 2000ern eine eigene fortlaufende Serie bei Vertigo. Den höchsten Bekanntheitsgrad erlangte die Figur vermutlich 2010 durch eine eigene Fernsehserie, die hierzulande bei Pro7 lief und nach zwei Staffeln eingestellt wurde.

Human Target Band 1, Panini Comics

Auftraggeber: Lex Luthor

Dass Christophers Interessen vor allem finanzieller Natur sind und er kaum moralische Bedenken bei der Auswahl seiner Kunden hat, finden wir zu Beginn der Geschichte heraus: Nachdem er sich eine Kugel für Lex Luthor einfängt und den Attentäter zur Strecke bringt, nimmt sein abgeschlossen geglaubter Auftrag eine unerwartete Wendung: Eine für Luthor vorgesehene Tasse mit vergiftetem Kaffee landet in seinen Fingern. Chance wird totkrank, ihm bleiben noch zwölf Tage zu leben. Er beschließt dies zu seinem letzten Fall zu machen. Wer wollte Luthor vergiften? Wer hat stattdessen ihn ermordet? Seine Ermittlungen führen ihn zur Justice League International und in eine Affäre mit der JLI-Heldin Ice, die ihn daraufhin bei seinen Nachforschungen begleitet. Beide misstrauen einander trotz gegenseitiger Zuneigung, denn Christopher deckt nach und nach die Macken einer unperfekten Heldengruppe auf, die mit der gottgleichen Erscheinung einer Justice League wenig gemein hat und in der jedes Mitglied verdächtig ist.

Human Target Band 1, Panini Comics

Ein vertracktes Spiel: Heldenfiguren sind bei King mehr als Archetypen

Was Tom Kings Arbeit für mich auszeichnet ist seine Herangehensweise an Charaktere. Figuren, die oft nur Karikaturen sind, erhalten Hintergründe aus denen sich klare Motive und Charakterzüge ableiten. Alle Figuren verfolgen eigene Interessen, stehen in komplexer Beziehung zueinander und haben persönliche Ziele. Dies wird erzählerisch so gekonnt verpackt und stückweise enthüllt, dass man als Leser nicht nur gespannt am Ball bleibt, sondern stets die Übersicht behalten kann. Human Target ist kein chaotisches Verwirrungsspiel mit Auflösungen, die wie Karl aus der Kiste kommen. Plot-Punkte bauen logisch aufeinander auf, Mitdenken lohnt sich und ist äußerst befriedigend.

Besonders schön ist, dass Figuren aus der zweiten bis dritten DC-Reihe eine große Bühne erhalten. Guy Gardner, Booster Gold, Martian Manhunter, Ice und Fire. Beispiel Guy Gardner, der als Green Lantern seit vielen Jahren dabei ist: Oft nur Sprücheklopfer für One-Liner, Haudrauf-Kumpane von Hal Jordan, der auf einem kleinen Teil einer Splash-Page mit grüner Energie auf Schurken eindrischt. In Human Target ist Guy Gardner ein ausgemachtes Ekelpaket, das als Ex-Mann von Ice auftritt, ihr Leben kontrollieren will und sich als Macho aufspielt. Er ist eifersüchtig und gewaltbereit. Was für eine fatale Mischung für eine Green Lantern, die das Universum schützen soll. Kings Interpretation von Gardner ist unsympathisch, unangenehm und bedrohlich - trotzdem aber nachvollziehbar. Sie wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.

Die schillerndste Figur ist ohne Frage Ice, die viel mehr als nur Love Interest ist. Ihre Romanze mit Christopher im Stile alter Film Noir Filme und Hardboiled-Krimis wirkt nur manchmal aus der Zeit gefallen - insgesamt wird bewusst mit den Tropes aus den Werken dieser Ära gespielt und offensiv umgegangen. Angenehm diffus schwankt ihr Verhältnis mit Chance immer wieder zwischen Vertrauen und Misstrauen - die beiden öffnen und verschließen sich voreinander immer wieder, was das Detektivspiel durch die Dialoge der beiden stets unterhaltsam macht.

Human Target Band 1, Panini Comics

Greg Smallwood: Herausragende Comickunst

Die Geschichten von Tom King besitzen oft eine streng geordnete Struktur der Panels, parallele Linien und eine Art Raster-Look dominieren. Um diesen statischen Look mit Leben zu füllen, wurde mit Greg Smallwood ein Künstler verpflichtet, der das so grandios meistert, dass ich mir keine Alternative vorstellen möchte. Er zeichnet sich für Bleistift, Tusche und Farbe verantwortlich und bringt ein Highlight nach dem anderen. Bereits die Farbwahl ist geschmackvoll und am Puls der Zeit. Alles ist stets in einem Wachsmalstil gehalten, bei dem besonders die Cover hervorstechen. Die Bilder verleihen der Geschichte ein Gefühl, das sich aufgrund des Hardboiled/Noir-Charakters wie der Gegenentwurf zu Frank Miller anfühlt - anstelle von tiefem Schwarz, Trostlosigkeit und Düsternis ertränkt Smallwood die Welt in gleißendem Licht und grellen Farben mit starkem 60s-Vibe.

Mir persönlich war Mister Smallwood bis dahin unbekannt, seine bekanntesten Arbeiten sind Marvels Moon Knight (mit Jeff Lemire) und diverse Cover Artworks für u. a. Star Wars. Ich werde ab jetzt die Augen aufhalten, wenn sein Name auf einem Band steht, denn Human Target ist einer der schönsten Comics, die ich bislang gelesen habe und das sage ich ohne Übertreibung.

Human Target Band 1, Panini Comics
© Panini Comics

Fazit: Human Target muss man lesen

Auch wenn mein Fazit eine unkritische Lobhudelei ist: Ich kann nur wenige Kritikpunkte finden. Klar, man könnte die Beziehung zwischen Ice und Christopher mit noch mehr Tiefe ausstatten, wahrscheinlich hätte man ihre Figur gerade in Anwesenheit des eifersüchtigen Guy Gardner wehrhafter und damit zeitgemäßer gestalten können. Es wird stattdessen viel mit Noir/Hardboiled Genremerkmalen gespielt und offensiv umgegangen.

Human Target ist ein extrem frischer Take auf den Superheldenkosmos mit tollem Artwork und klasse Pacing, das von vorne bis hinten wahnsinnig viel Spaß macht. Es addiert jenseits des Kanon neue Facetten zu bekannten Charakteren und bietet eine Art von Agenten-Thriller, die man sonst wohl am ehesten im Universum des dunklen Ritter finden würde. Dieser wird übrigens auch besonders interessant in Human Target inszeniert. Es lohnt sich.

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