Zum dritten Mal habe ich das japanische Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt besucht. Als Fan der fernöstlichen Filmkultur schon ein Pflichtbesuch für mich geworden, auch 2025 werde ich sicherlich hinfahren. Was die Nippon Connection so besonders macht, ist der einzigartige Mix aus Filmveranstaltungen und kulturellem Ra(h)menprogramm (sorry, dieses schlechte Wortspiel ist genauso verpflichtend wir ein Stop am Onigiri-Stand vor dem nächsten Film).
Neben Deutschland- und Europapremieren werden auch Klassiker wiederaufgeführt, es gibt Anime, Kurzfilme, Dokumentarfilme. Rund 100 Filme gab es in diesem Jahr in 6 Tagen zu sehen, da will jeder Ticketkauf gut abgewägt sein. Dazu gibt es diverse Snacks und Leckereien der japanischen Küche von Takoyaki über Matcha-Eiscreme bis zu Okonomiyaki. Oishi desu ne! Wer nebenbei etwas über Kalligraphie, traditionelle Trommelmusik oder die Kunst Kirigami lernen möchte, findet unzählige Workshops, Seminare und Konzertveranstaltungen (besondere Hits sind Rudel-Karaoke und Radiogymnastik). Wenn ich überhaupt negatives zur Nippon Connection berichten kann, dann dass es leider nicht möglich ist, mehr als wenige Prozent des Portfolios mitzuerleben. Der Terminkalender will gut gepflegt sein und jede Zusage beinhaltet einen Programmpunkt, den man verpassen wird.
Im Mittelpunkt dieses Berichts stehen nun die Filme, die ich dieses Jahr gesichtet habe. Acht an der Zahl waren es an den vier Tagen, die ich vor Ort war, wobei die Animequote mit drei Filmen dieses Mal besonders hoch war.
Blue Giant (2023) von Yuzuru Tachikawa
Als Fan des Manga Blue Giant Supreme war der Besuch dieses Films ein Pflichtbesuch. Die Geschichte dreht sich um den jungen Saxophonisten Dai, der sich in den Kopf setzt, der weltbeste Jazzmusiker zu werden. Unnachgiebig überzeugt er einen Drummer und einen Pianisten sich ihm anzuschließen, organisiert erste Gigs und gibt auf der Bühne alles.
Die Umsetzung lebt von der Inszenierung der Leidenschaft zur Musik. Sowohl die Konzerte, die farbenfroh und expressionistisch gestaltet sind, als auch die sorgfältig ausgewählten Schauplätze. Vom Saxophonsolo abends am Fluss unter einer Brücke bis zur etwas ranzigen Toilette des Jazzclubs. Die Orte sind stark mit der Musik verbunden und das Visuelle passt auch dann besonders gut, wenn wir kurze Erinnerungsschnipsel der Spielenden zur Musik erleben. Ganz klar, das Festival hat für mich mit einem Highlight begonnen.
Johatsu - Into the Air (2024) von Andreas Hartmann & Arata Mori
Johatsu, die "sich in Luft auflösenden": So nennt man in Japan diejenigen, die von heute auf morgen verschwinden, ihrem Leben aus vielfältigen Gründen entfliehen und ein neues Leben unter neuer Identität beginnen. Meist werden sie nie wieder gefunden, Familie und Freundeskreis bleiben nichtsahnend zurück.
Der Regisseure Andreas Hartmann und Arata Mori nehmen Kontakt auf: Mit Hinterbliebenen, die jahrelang auf der Suche sind. Mit Geflüchteten, die unter widrigen Umständen eine neue Existenz aufbauen wollen, oft an der Armutsgrenze. Und mit Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Menschen verschwinden zu lassen und ihnen bei der sicheren Flucht zu helfen.
Sehr interessant, authentisch und wertungsfrei zeigt dieser Dokumentarfilm ein Thema, über das ich mir nicht im Klaren war und das eine Menge Substanz zum Nachdenken und Diskutieren bereithält.
Kyrie (2023) von Shunji Iwai
Die Teenagerin Luca pflegt ein Leben als Straßenmusikerin. Seit sie ihre Eltern und Schwester verloren hat, kann sie nicht mehr sprechen und verleiht ihrer Stimme einzig beim Gesang Gewicht, um sich auszudrücken. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin, die sich als ihre Managerin beweisen will und den ersten Kontakten zur Musikindustrie schlagen sich die zwei jungen Frauen durch.
Dieses Musikdrama hat vor allem eine sympathische Hauptfigur und 1-2 durchaus interessante Nebenfiguren zu bieten. Hinzu kommen obligatorische Gesangspassagen und philosophische Coming-of-Age Vibes.
Leider ist die monumentale Dauer von drei Stunden dann doch etwas viel für den Stoff und der Film enthält einige Redundanzen und unnötige Szenen, mit bspw. einer Vergewaltigungsthematik, die dann aber nicht in der nötigen Tiefe aufgearbeitet wird, sondern fast beiläufig geschieht. Nichtsdestotrotz hatte ich eine gute Zeit mit dem Film und wer ein japanisches Singer & Songwriter Drama mit Parallelen zu CODA ansprechend findet, sollte hier reinschauen.
Ripples (2023) von Naoko Ogigami
Hausfrau Misae hat ihr Leben umgekrempelt: Der Schwiegervater ist nach lange Heimpflege gestorben, der Ehemann ist nach den Wirrungen von Fukushima abgehauen, der Sohn zum Studium ausgezogen und sie selbst hat sich einer kleinen Sekte angeschlossen, die ein heiliges Wasser verehrt und jeden Tag diesem Wasser an einem Schrein in ihrer Wohnung predigt.
Ich nehme vorweg, dass "Ripples" eines meiner Highlights der Nippon Connection war. Eine beißende Familien- und Gesellschaftssatire in der Tradition von "Parasite" mit einer starken feministischen Ader, absurden komischen Momenten und richtig guten Darstellenden. Ganz große Empfehlung!
Perfect Days (2023) von Wim Wenders
Kein originärer Nippon Connection Film, denn dieser Film von Wim Wender lief bereits 2023 in Deutschland im Kino. Unter dem diesjährigen Motto "Crossing Borders" passte die deutsch-japanische Koproduktion aber hervorragend ins Konzept und ich war sehr froh, den Film nachholen zu dürfen.
Toilettenreiniger Hirayama führt ein bescheidenes Leben mit klaren Routinen: Die Arbeit wird akribisch erledigt, danach geht es zum Lieblingsimbiss, abends gibt es ein gutes Buch bevor das Licht ausgeht.
"Perfect Days" ist ein herzerwärmendes Drama, über das sich herrlich streiten lässt: wunderschön, simpel mit einer Botschaft im Sinne des Zen-Buddhismus - aber auch mit einem romantisierend-naiven Blick auf die Arbeitenden und unterprivilegierten im Kapitalismus. In jedem Fall extrem sehenswert.
Phoenix: Reminiscence of Flower (2023) von Shoujirou Nishimi
Der klassische Manga Phoenix (Hi no tori) stammt aus den 50ern und war mir bis dato nicht bekannt, obwohl es auch einige Anime-Inkarnationen bis in die 2000er gab und ich bin allein aufgrund des Trailers in diesen Film gegangen. Dabei geht es um unabhängige Science Fiction und Fantasy Geschichten, die alleine ein verbindendes Element besitzen: Den Feuervogel Phönix, der meist eine symbolische und passive Rolle im Geschehen einnimmt (soweit meine Recherche).
Das Paar Rom und George landet mit seinem Raumschiff auf einem fremden Planeten mit klarer Mission: Ein lebensfähiges Ökosystem aufbauen und den Grundstein für eine neue Zivilisation legen. Als George bei einem Unfall ums leben kommt, entwickelt sich das Vorhaben in ungeahnte Richtungen...
"Phoenix: Reminiscence of Flower" ist ein faszinierendes, buntes SciFi Abenteuer mit einigen tollen Designs, aber auch mit einem langatmigen Pacing und dem Problem einer grundsätzlichen Unzugänglichkeit. Sympathie mit Charakteren aufzubauen oder mich zu involvieren, fiel mir schwer, es blieb stets eine große Distanz zu allen Ereignissen und Figuren. Interessant für Fans klassischer Science Fiction, aber kein großes Unterhaltungskino.
Totto-chan: The Little Girl at the Window (2023) von Shinnosuke Yakuwa
"Totto-chan" ist eines der beliebtestes Kinderbücher in Asien (meine aus China stammende Ehefrau freute sich darum ganz besonders auf den Film).
Das Mädchen Totto-chan tanzt in ihrer Schule stets aus der Reihe und kommt auf eine besondere Grundschule für Kinder, die alle nicht so Recht in das übliche System gepasst haben. Hier wird mit Empathie und mit Wert auf freie Entfaltung gelehrt. Allerdings kündigt sich parallel die Bedrohung des zweiten Weltkrieges an, die einen Schatten über das harmonische Miteinander legt.
Ein Film fürs Herz, der sich nicht nur an Kinder richtet, bereits in der Anmoderation auf der Nippon Connection wurde versprochen, dass es tränenreich werden könnte. Und tatsächlich, ich hatte die Hälfte der Zeit einen dicken Kloß im Hals. Was man dem Film ankreiden kann, ist aber wie so oft die unreflektierte japanische Sicht auf den zweiten Weltkrieg, die man so leider weiterhin in vielen Filmen erleben muss. Im Kontext dieses Films finde ich das noch ok, aber in der Summe vieler Filme wird deutlich, wie Japan auch weiterhin den Fokus auf die Opferrolle der eigenen Zivilbevölkerung legt und damit einer Verantwortungsrolle ausweicht.
Missing (2024) von Keisuke Yoshida
In meinem letzten Film auf gab es schwere Kost mit dem Drama "Missing", in dem wir den Leidensweg eines Ehepaares miterleben, dessen Kind verschwunden ist und die zwischen Trauer, Medienberichterstattung und Polizeiermittlungen zerrieben werden. Der Fokus liegt besonders auf der Mutter und ihrer Beziehung zum Ehemann sowie der Herausforderung für ihre eigene Beziehung.
Mir hat "Missing" leider überhaupt nicht gefallen. Man bekommt sehr viel Leid in Form von weinenden Menschen präsentiert, aber einen Mehrwert konnte ich leider nicht mitnehmen. Erschwert wurde das vor allem durch die Rolle der Journalist*innen, die den Film in ein Ungleichgewicht aus Mediensatire und schwerem Familiendrama stürzen, das mich sehr ratlos zurückgelassen hat, ob wir hier eine größere Medienkritik sehen sollen, die aber nicht konsequent auserzählt wird.
Alles in allem war es ein lohnendes Vergnügen in Frankfurt zu sein und ich plane definitiv, im kommenden Jahr wiederzukommen.
Zum Abschluss noch ein paar Impressionen rund um das Festival:
Commentaires