Wir leben im Zeitalter der Franchises, Prequels, Sequels und Remakes. Viel zu oft werden alte Marken wieder aufgewärmt, anstatt neue zu etablieren und Neues auszuprobieren. Dies gilt sowohl für Filme, Comics und Spiele. Aber: es gibt auch diese glücklichen Einzelfälle lange vergessener Namen, die nach vielen Dekaden unverhofft zurückkehren. Outcast: Second Contact ist einer dieser seltenen Fälle, bei dem ich direkt leuchtende Augen bekam, so tief ist meine Verbindung zum Originalspiel. Aber fangen wir von vorne an.
Das Original von 1999: Ein unterschätzter Meilenstein
Outcast wurde 1999 vom französischen Publisher Infogrames veröffentlicht und war ein Riesenthema in der Spielepresse. In diesem Action Adventure schlüpfen wir in die Rolle des Ex-Marines Cutter Slade, der in ein Paralleluniversum geschickt wird, um die Menschheit vor einem künstlichen schwarzen Loch zu bewahren. Dazu durchstreift er den Planeten Adelpha, muss den außerirdischen Bewohnern helfen und sechs verschiedene Kontinente bereisen. Verbunden sind diese durch die Daokas, Portale, die stark an Stargate erinnern.
Technisch revolutionär wurde damit eine gigantische Spielwelt offenbart, die sich frei und nonlinear erkunden ließ. Eine Open World mit epischer SciFi Story, symphonisch eingespielter Musik und der deutschen Synchronstimme von Bruce Willis. Alles andere als Standard vor der Jahrtausendwende.
Optisch wurde groß aufgefahren: die verwendete Grafik-Engine arbeitete nicht primär mit Polygonen, sondern mit Voxeln, dreidimensionalen Pixeln. Diese Voxel wurden praktisch aufeinander und nebeneinander gestapelt, um organische Landschaften zu formen. Das war zwar rechenintensiv, aber sah für damalige Verhältnisse beeindruckend aus. Auch heute noch sieht man, dass der Look etwas einzigartiges hat, denn Voxel kommen weiterhin nur selten zum Einsatz. Außer im zweifellos erfolgreichsten Nutzer dieser Engine, nämlich Minecraft. Der große Nachteil damals: Voxel beanspruchten die nicht die Grafikkarte, sondern den Prozessor, was dazu führte, dass bei Erscheinung praktisch kein Normalsterblicher Outcast mit maximalen Grafikeinstellungen spielen konnte.
Ebenso wie die visuelle Power war auch der Sound seiner Zeit voraus. Die Entwickler wollten unbedingt einen cineastischen Klassik-Soundtrack umsetzen, wie er für Spielfilme üblich war. Und konnten dies dank Komponist Lennie Moore und dem Moskauer Symphonie Orchester exzellent umsetzen. Schwere Chöre, dramatische Bläser und orientalische Flöten schufen eine stimmungsvolle Kulisse. Nicht umsonst konnte Outcast damals zahlreiche Preise für Sound und Musik gewinnen.
Hinzu kam eine ausführliche Sprachausgabe, in der Protagonist Cutter Slade mit Manfred Lehmann (Bruce Willis) prominent vertont wurde. Wer sich einen zufälligen Dialog anhört, wird über seltsame Ausdrücke stolpern. Denn für die auf Adelpha lebenden Talaner wurde eine eigene Sprache mit hunderten eigenen Wörtern entwickelt. Ein Wörterbuch hilft euch, den Überblick zu behalten, die meisten Vokabeln gehen aber schnell in Fleisch und Blut über. Beispiel gefällig? Ein Shamaz ist ein Priester, der Ulukai ist der auserwählte Retter und das Fandazma ist die Seele. Für mich hat der Faktor Spache immer stark zur Immersion beigetragen.
Aber auch spielerisch hatte Outcast viel zu bieten. Neben seinem non-linearen Aufbau gab es viele Nebenquests zu lösen, unzählige Charaktere kennen zu lernen und Ausrüstung zu sammeln. Sechs upgradefähige Waffen plus technische Gadgets brachten Tiefgang in die Kämpfe. Diese spielen sich heute nicht mehr besonders rund und haben Federn gelassen, luden aber zum experimentieren, ausprobieren und Fallen-stellen ein. Dynamit, Fernzünder, Teleporter, Bewegungsauslöser: wer das Terrain erst einmal überblickt hatte, konnte sich austoben. Außerdem ließ sich frei zwischen 3rd- und 1st-Person umschalten (was nicht unbedingt die cleverste Entscheidung für das Spieldesign war).
Wenn ich mich hier nun in Lobeshymnen verliere, wie erfolgreich war denn Outcast schlussendlich? Nun, es war ein ziemlicher Flop. Zwar konnten die Kritiker weitgehend überzeugt werden, aber besonders in den USA wurden lediglich 50.000 Einheiten verkauft, was ein komplettes Desaster war (außerhalb der USA immerhin 350.000). Ein großer Faktor waren sicherlich die technischen Anforderungen, denn um Outcast damals ruckelfrei zu spielen, musste schon der PC von übermorgen her. Ich persönlich habe es auch erst einige Jahre später gespielt, als erforderliche Hardware erschwinglicher war. Von Entwicklerseite wurde außerdem moniert, dass Infogrames sich zur Veröffentlichung gerade im Übernahmeprozess des Publishers GT Interactive befand, wodurch die Vermarktung aktueller Projekte gelitten haben soll.
18 Jahre später: der zweite Kontakt
In Anbetracht des kommerziellen Misserfolgs hatte Outcast immer eine überschaubare Fanbase. Umso überraschter war ich, also 2017 das Remake mit dem Titel "Second Contact" erschien. Nachdem die ersten Previews und Tests einen kompetenten Eindruck gemacht hatten, habe auch ich mich wieder nach Adelpha begeben.
Der erste Eindruck zieht die Stimmung runter: was ist mit dem Intro-Film passiert? Da wo früher ein cineastischer (und grobpixeliger) Renderfilm lief, gibt es nun eine Art leicht animierte Diashow zu sehen. Dabei läuft die Originaltonspur von damals, nur: es hätte deutlich besser ausgesehen, wenn man den Charakteren zumindest bewegte Münder spendiert hätte. Auch der ganze Zeichenstil dieser Sequenz wirkt wie ein Fremdkörper in Outcast. Wir werden, Gott sei Dank, nichts dergleichen noch einmal erleben müssen.
Als es dann ins Spiel geht und wir in der bekannten Schneewelt Ranzaar aufwachen, hellt sich die Stimmung auf: Das grafische Makeover ist gelungen, alles wurde zeitgemäß hochauflösend und detailreich aufbereitet und erstrahlt in neuem Glanz. Auch der Soundtrack wurde inklusive Sprachausgabe komplett beibehalten, was sehr angenehm ist.
Spielerisch ist fast alles beim Alten. Ein bisschen Convenience im Vergleich zu damals gibt es: das Menü wurde neu designt, was Zeit spart und bspw. das Speichern funktioniert nun deutlich schneller. In der Vergangenheit gab es dazu einen magischen Stein, das "Gamsav" (kein Witz). Die Benutzung des Stein dauerte früher einige Sekunden, was bei häufigem Speichern den Spielfluss unterbrochen hat. Dies geht nun bedeutend schneller.
Das war es aber auch beinahe mit den Änderungen. Die Spielwelt kommt weiterhin ohne Questmarker und moderne Open World Erleichterungen aus und erfordert gute Orientierung, akribisches Durchfragen bei den Bewohnern und ein verlässliches Gedächtnis. Wer sich nicht voll in Outcast hineinstürzt wird viele Wege mehrmals gehen und manchmal orientierungslos umherirren. Alles eine Geschmacksfrage, ich weiß sehr zu schätzen, dass man diesen offenen Ansatz beibehalten hat. Ein Questlog mit Wörterbuch und Lexikon über die Sprache der Talaner stehen allerdings zur Verfügung.
Nun aber zum Aspekt, der durchaus ein Update vertragen hätte: die Steuerung. Anno 1999 war die Steuerung von Outcast schon gewöhnungsbedürftig und gerade das Sprungverhalten nicht einfach zu kontrollieren. Sowohl in den Kämpfen als auch ein paar größeren Geschicklichkeitspassagen seid ihr darauf aber angewiesen. Auch heute ist es nicht möglich, sich ohne Fehlversuche an einer Plattform hochzuziehen oder auf ein Häuserdach zu springen. Die Kontrolle über Slade zu behalten, wird also an einigen Stellen zum hakeligen Krampf.
Die Kämpfe wurden weitegehend unverändert gelassen. Neben dem Laserpointer wurde ein Fadenkreuz spendiert, um das Zielen zu erleichtern, das hätte ich aber nicht gebraucht. Es trägt nicht viel zum Gameplay bei und ist relativ hässlich. Stattdessen wäre eine brauchbare Gesundheitsanzeige ein sinnvolles Feature gewesen. Den Überblick über die Gesundheit zu behalten oder ein Wissen darüber, wie viel ein Treffer wohl abzieht, ist weiterhin ein Glücksspiel. Erwähnenswert ist noch, dass beim Remake auf die optionale 1st Person Ansicht verzichtet wurde. Das ist konsequent, da wohl die wenigsten damals viel Zeit in dieser Perspektive verbracht haben und diese mit zeitgemäßen Ego-Shootern nicht mithalten könnte. Entmutigen lassen sollte man sich von den negativen Aspekten rund um die Kämpfe aber nicht, denn der Schwierigkeitsgrad ist nicht sonderlich hoch und mit ein bisschen Übung kann man schnell Erfolge erzielen.
Lohnt sich die Rückkehr nach Adelpha?
Outcast ist auch im Remake Second Contact ein Spiel mit vielen Ecken und Kanten, an dem sich die Geister scheiden werden. Wer Spaß daran hat in eine sehr originelle Welt einzutauchen, sich ohne Hilfestellungen Zusammenhänge zu erschließen, Aufgaben zu erarbeiten und lange Gespräche zu führen, bekommt eine einzigartige Spielerfahrung. Cutter Slade wird in eine fremde Welt geworfen, muss mit den Einheimischen sprechen und herausfinden was zu tun ist - als Spieler hat man kaum Wissensvorsprung vor ihm und muss viel selbst herausfinden und im Gedächtnis behalten. Dieser etwas sperrige und unkomfortable Ansatz hebt Outcast von modernen Open World Spielen ab, in denen meist nur zum nächsten Questmarker gelaufen und Taste X gedrückt wird. Ich bin glücklich darüber, dass dies nicht aufgeweicht wurde und ich wieder gezwungen war, mich intensiv mit den Talanern zu beschäftigen und gelernt habe, was ein Gui ist.
Negativ fällt mir aber auf, dass einige Schwächen der Steuerung nicht überarbeitet worden sind und gerade in Geschicklichkeitspassagen Frust angesagt ist. Und bei aller Liebe zum Selbst-Erarbeiten: dass ich weiterhin Gegenstände mit Namen wie PROXI-130 HF finde, ohne einen Schimmer zu haben, was das sein könnte... Hier hätte man im In-Game-Lexikon ein paar Zeilen spendieren dürfen.
Allen Spielern, die über die vorhandenen negativen Aspekte hinwegschauen können und Lust auf maximales Eintauchen in eine fremde Welt haben, kann ich Outcast: Second Contact sehr ans Herz legen. Mein Tipp: so weit wie möglich ohne Internethilfen spielen und ohne allzu großes Vorwissen durchs Daoka schreiten.
PS: Ein Gui ist ein Stück Stoff, das mit dem Schweiß eines Muttertieres der Twon-Ha (Reittiere) getränkt wurde.
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