Stories Untold verspricht eine Compilation aus vier Episoden experimenteller Adventures, die sich als Hommage an die alten Zeiten der Text-Adventures verstehen. Entwickler NoCode und Publisher-Liebling Devolver Digital zeigen, wie man gekonnt auf der 80er Retro-Welle surft und eine immersive Spielerfahrung bietet.
Inception lässt grüßen: Das Spiel im Spiel
Bereits beim Start der ersten Episode wird klar, woher der Wind weht: Es startet eine Art Serienintro, dessen Soundtrack und Schriftart stark von Stranger Things inspiriert zu sein scheinen. Dazu fährt die Kamera über Tape-Decks, Analogmikrofone und Röhrenbildschirme. Das mysteriöse 80s-Retro-Setting ist gesetzt.
Wenn das Intro vorbei sitzen wir an einem Schreibtisch: Ein alter Spielecomputer wurde hochgefahren und das Spiel "The House Abandon" gestartet. Interaktion mit dem Schreibtisch ist nicht möglich, wir können aber per Texteingabe das Adventure auf dem Röhrenmonitor spielen. Also ganz Oldschool ohne Maus, ohne Grafik. Es wird eine Geschichte gespielt und wir können mit Befehlen wie "Look around", "Open door" oder "Use key" unsere Figure bewegen, um einen kleines Gruselspiel zu bewältigen. Als einsamer Protagonist lösen wir ein paar kleine Rätsel erforschen das Haus und starten eine Geschichte. Das ganze ist wirklich klein - hier ufert nichts aus und Episode 1 werden geübte Spieler wahrscheinlich in 20-30 Minuten gelöst haben.
Spannend wird es ab dem Punkt, an dem sich Details des Textadventures mit eurer räumlichen Umgebung (also dem Schreibtisch) vermischen. Auch wenn es nur Geräusche im Hintergrund des Hauses oder ein Flackern der Lampe sind. Die Effekte werden reduziert, aber effektiv eingesetzt und es kommt ordentlich Gruselatmosphäre auf. Es steht immer mehr die Frage im Raum, inwieweit die virtuelle Spielwelt von Stories Untold mit der virtuell-virtuellen Spielwelt von "The House Abandon" verwoben ist. Genau diese Verwebung der einzelnen Layer zu erforschen, macht einen Großteil der Spannung aus. Und dies setzt sich auch in den folgenden drei Episoden fort.
Die Evolution des Geschichtenerzählens
Was mir an Stories Untold imponiert, ist die gelungene Verknüpfung verschiedener Erzählstile. Ohne dass wir es merken, wird die immer tiefer werdende Story auch in ihrer Erzählweise und Spielform erweitert. Während zu Beginn die Textform dominiert, kommen später Point & Click Passagen, Sprachausgabe und Erforschung aus der Egoperspektive hinzu. Jedes Element wird sehr sparsam dosiert, sodass wir uns nie wirklich an ein Konzept gewöhnen können bevor das Stories Untold vorbei ist.
Ein roter Faden aller Episoden ist die Bedienung analoger Technik. Beginnend mit dem 80er-Computer, müssen wir bspw. Maschinen im Forschungslabor oder ein Funkgerät einsetzen. Die Interkation mit den Geräten wird nie allzu kompliziert, oft befolgen wir Anweisen, lesen Gebrauchsanweisungen und setzen um, was vorgegeben wird. Wer Kopfnüsse à la Monkey Island erwartet, wird hier enttäuscht. Es handelt sich eher um die Lightversion eines Escape Rooms mit Fokus auf Story. Und die hat tatsächlich einige unvorhersehbare Wendungen und clevere Verzahnungen parat, die uns vor den Monitor fesseln.
Ein audiovisueller Sog
Stories Untold bietet ein sehr reduziertes Setup, was Grafik und Sound angeht. Es gibt nur wenige Umgebungen und auch Musik kommt rein quantitativ nur dezent zum Einsatz.
Allerdings wird alles, was wir zu sehen und hören bekommen, wirklich hervorragend eingesetzt. Die große Stärke des Spiels ist die Atmosphäre die kreiert wird. Raschen von Funksignalen, klapprige Schalter und knallende Türen: Man hat das Gefühl, sich hier mittendrin zu sein. Dazu wabern Synthi-Klänge im Hintergrund, werden je nach Spannung immerwährend lauter und spannen einen stimmungsvollen Bogen.
In den 90ern wäre Stories Untold wahrscheinlich ein FMV-Adventure auf dem Sega Mega CD mit dilettantischen Darsteller*innen geworden. Wir dürfen froh sein, dass hier jedes Stück Sprachausgabe und jeder Polygon der Umgebung wirklich on point ist. Die Stimmung wird durch die technische Umsetzung zu keiner Zeit gebrochen.
Ein paar mehr Details in der Interaktion wären dennoch wünschenswert gewesen. Dass viele Klicks auf die Raumdekoration komplett ohne Feedback bleiben, ist ein bisschen schade. Kein großes Manko, aber hier wäre Luft nach oben gewesen.
Fazit: Wenige, aber intensive Stunden
Stories Untold ist das perfekte Spiel für einen einsamen Abend am heimischen Computer. Licht dimmen, Kopfhörer auf und komplett eintauchen. Die Spielzeit ist mit 2-3 Stunden leider sehr knapp bemessen, dafür gibt es aber nicht einen einzigen Pixel Ballast. Mir wird die Erfahrung noch lange im Gedächtnis bleiben, denn am liebsten würde ich direkt weitermachen und neue Episoden in diesem Mikrokosmos starten. Umso erfreulicher, dass der Entwickler No Code gerade an einer Fortsetzung zu Silent Hill arbeitet - man darf gespannt sein.
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