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Superhelden-Stories: Wie entkommen wir dem Irrsinn der Multiversen?


© DC Comics

Das Leben mit Superkräften muss wirklich anstrengend sein. Immer wieder steckt man in der Krise. Und das meist in einer galaktischen, multidimensionalen Krise, die mit der Zerstörung von allem und der Neusortierung der Universen endet, um dann von vorne zu beginnen. Wie Sisyphos, der seinen Fels mühsam den Berg hinaufschiebt, um zu scheitern und von neuem zu beginnen, so sind auch die Superhelden-Comics in einer nicht enden wollenden quälenden Schleife gefangen. Diese Krisen haben nicht nur, aber vor allem bei DC Comics Tradition. Krisen unendlicher Erden, endlose Krisen, Identitätskrisen und mein Favorit, die "Final Crisis", die alles andere als endgültig war und lediglich in noch mehr Krisen mündete. Nun also die dunkle Krise. Vor kurzem ist in Deutschland die #1 des Dark Crisis Megaevents erschienen, die wie immer viele Einzelausgaben, Trade Paperbacks, Preludes und Monster Editions umfassen wird.

Ich bin nach der Lektüre von Ausgabe 1 in mich gegangen und habe überlegt: Warum dieser Multiversums-Fetisch? Macht es für uns Lesende einen Unterschied, ob die Geschichten in einem Universum, Multiversum oder neuerdings Omniversum stattfinden? Wie tiefgreifend sind die Veränderungen nach diesen Events? Werden Geschichten durch die Gigantomanie der Verantwortlichen wirklich besser? Und haben Parallelwelten wirklich nicht mehr zu bieten als die gleichen Helden mit anderen Frisuren?

Meine These: ich würde viel lieber mal über eine Midlife Crisis lesen.


Für meinen Einstieg in die Superhelden-Comics hab ich damals einen denkbar komplizierten Weg gewählt: beim Stöbern auf eBay hab ich mir den Leckerbissen Infinite Crisis #1 rausgepickt (Das Variant-Cover war so cool!). Als ich realisiert habe, dass diese Ausgabe ohne Vorwissen praktisch unmöglich zu lesen ist, begann meine Odyssee. Viele ausgegebene Euros später hatte ich 5 Monster Editions, eine 7-teilige Heftserie, zwei Sonderhefte und acht Sonderbände von Justice League und Co. bei mir im Regal stehen. Eigentlich ein Wunder, dass mich das nicht so sehr abgeschreckt hat, direkt wieder Kehrt zu machen. Aber ich fand das spannend. Nicht nur hatte ich nach der Lektüre einen gesunden Fundus an Nerdwssen über das DC-Universum. Das Konzept solcher Events, verschiedener Realitäten und einem Start aller Serien in einem neu strukturierten Kosmos war irgendwie faszinierend.

Ein paar Jahre später gab es dann Flashpoint, ein Event mit ähnlichen Konsequenzen für die Timeline (wenn auch nicht ganz so ausufernd für Sammelnde). Und nach Flashpoint wurden alle laufenden Serien auf Ausgabe 1 zurückgesetzt. Man merkt schon, der Hauptanreiz dieser Events liegt besonders im Sinne der Verlage:

  • Komplettisten kaufen sich das ganze Event zusammen .

  • Wer mehr wissen will, kauft zusätzlich die vorausgehenden Ausgaben und Bände, die zu diesem Event hingeführt haben.

  • Danach Neustart: Eine #1 verkauft sich erfahrungsgemäß am besten (oder seid ihr schon einmal bei #46 in eine Serie eingestiegen?)


© DC Comics

Die Ursprünge dieser Entwicklung rühren ehrlicherweise nicht aus einer kreativen Vision, sondern aus den Verkaufszahlen. Denn als Crisis on Infinite Earths 1985 den ersten Reboot eines Superhelden-Multiversums einläutete, war die Motivation folgende: Die Verkäufe liefen bereits seit den 70ern immer schlechter. Die Last der Jahrzehnte voller Parallelwelten und alternativer Superhelden war zunehmend komplex geworden und Comic-Neulinge griffen immer bevorzugter zu Marvel, wo es diese Komplexität (noch) nicht gab. Der Plan, mit einem Event aufzuräumen, Ballast abzuwerfen und auf der grünen Wiese neu durchzustarten, ging auf. Die Verkäufe gingen wieder hoch.

Inspirierend für Crisis on Infinite Earths dürfte ironischerweise ein Marvel-Event gewesen sein, denn Marvel's Secret Wars machte 1984 vor, wie man ein episches Crossover inklusiver einer Vielzahl von Helden inszenierte. Secret Wars hatte aber nicht die gleiche Relevanz für die Kontinuität oder hätte gar ein Reboot als Folge gehabt. Selbstverständlich stand Marvel aber eine Dekade später vor dem gleichen Problem wie DC und drückte mithilfe von Heroes Reborn den Reset-Button. Und seither sind beide Verlage in einem nie enden wollenden Zyklus aus Crossover-Event-Reboots gefangen.


Die Verlage verdienen gut, die Leser behalten die Übersicht: Win-Win?

Die Problematik besteht aus meiner Sicht darin, dass (besonders bei DC) der Gag langsam alt ist. Streichen wir das "langsam", er ist wirklich uralt. Ein Blick in Dark Crisis #1 zeigt, dass es weder künstlerisch noch erzählerisch neue Kniffe gibt und die Story nicht viel mehr ist, als "alle Superschurken greifen auf einmal an - was sollen wir tun?". Versteht mich nicht falsch, der Comic sieht zeichnerisch so aus, wie ich meinen DC-Superhelden-Comic mag und ich werde auch die #2 abgreifen, weil ich gespannt bin, welchen Weg die Story noch nimmt. Ich möchte auch nicht zu vorschnell urteilen. Aber es wirkt alles leider arg bekannt.

Auch was den eigentlichen Zweck solcher Events angeht, nämlich das Multiversum zu entschlacken, habe ich wenig Hoffnung auf sinnstiftende Neuerungen. Nach Flashpoint hatte ich durchaus das Gefühl, dass alles erfolgreich verschlankt wurde. Aber wenn es danach alle 5 Jahre ohnehin Rebirth, Convergence oder nun Dark Crisis heißt, ist dieses Reinemachen nicht nachhaltig. Hinzu kommt, dass die Redakteur*innen nach ihren Reboots gerne merken, dass nicht alle Änderungen von Vorteil waren, um sie dann mit einem weiteren Event wieder zu retconnen.

© DC Comics

Um bessere Beispiele zu zeigen, verweise ich gerne auf eigentlich alle Manga oder Serien wie "Invincible", die zeigen, wie eine Superhelden-Continuity funktionieren kann, ohne überkomplex zu werden. Jetzt mag man mir vorwerfen, dass dort auch nicht hunderte Künstler an den Comics arbeiten, worauf ich gerne erwidere: ja, vielleicht wäre ja gerade das der Schlüssel. Außerdem demonstrieren u. a. die Turtles-Comics und Star Wars (ab 2015) , dass Kontinuität und Künstlervielfalt ohne regelmäßiges Retconning und Rebooting funktionieren kann.

Und noch eine Idee: Vielleicht müssen gar nicht 15 Batman-Serien parallel erscheinen. Ich übertreibe? Überhaupt nicht, anno 2023 sieht die Landschaft der laufenden Batman-Reihen folgendermaßen aus:

  • Batman

  • Batman - Detective Comics

  • Batman - One Bad Day

  • Batman - Gotham Knights

  • Batman/Superman: World's Finest

  • Batman: Knightwatch

  • Batman: The Adventures Continue

  • Batman Incorporated

  • Batman: Legends of Gotham

  • Batman: Fortress

  • Batman: Urban Legends

  • I Am Batman

  • The Batman & Scooby-Doo Mysteries

  • Batman & The Joker

  • Batman vs. Robin

Dies sind übrigens die amerikanischen Veröffentlichungen nach Dark Crisis, soviel zum großen Reinemachen.


Welche Konsequenzen haben denn Reboots?

Eine berechtige Frage. Neben Beziehungen zwischen Charakteren (z. B. Supermans Hochzeit), Todesfällen oder der Existenz einzelner Held*innen wurde auch die Struktur des Multiversums immer wieder angepasst. Nach Infinite Crisis bspw. wurde das DC Multiversum neu geordnet und bestand aus genau 52 Universen. Dazu gibt es auch eine wunderbare Karte von Grant Morrison:

Multiversity Map
© DC Comics

In späteren Events wurde dieses Konzept wieder verworfen. So existierten dann nicht nur unbegrenzte Universen, sondern sogar unendlich viele Multiversen als Teil eines Omniversums.

Meine Frage dazu: warum dieser Krampf? Für spannende Stories ist es völlig unerheblich, wie viele Omniversen es gibt und ob irgendwo ein Dark Multiverse oder ein Wildstorm Multiverse existiert. Dass im Writer's Room bei DC Comics gewisse Regeln gelten, an die sich Schreibende halten sollen: Haken dran. Aber ich möchte gar nicht, dass dieses Regelwerk, das in Wirklichkeit ein Werkzeug zum Ordnen der Welt darstellt, zur Kernthematik aller Geschichten wird. Und dieses Regelwerk hat ohnehin keinerlei Glaubwürdigkeit mehr, da jeder weiß, dass in 5 Jahren die nächste Krise alles neu ordnen muss, weil es zu viele Ausnahmen gab und DC einen Sales Push braucht. Das war, wie oben beschrieben, einige Male spannend und interessant, verkommt aber zum Selbstzweck.

Hinzu kommt die hanebüchene Unkreativität, mit der sich dem Konzept von Parallelwelten angenommen wird. Es wird ja sehr oft mit Vokabeln wie Infinite, Multi und Omni um sich geworfen, aber wenn das unendliche Vorstellungsvermögen der Multibegabten bei DC nur dazu führt, dass es einen Superman mit grauen Schläfen und einen Mix aus Batman und Joker gibt, dann schenkt euch das Konzept. Auch der letzte Marvel-Erguss in Filmform zum Thema Multiversity hat nicht viel mehr geboten: ein paar bunte Welten hier, eine zerstörte Welt dort, meist nur für wenige Minuten kurzer Schauwerte ohne echten Einfluss auf die Story.

Alles in allem ist das nicht unendlich kreativ, sondern seit Jahrzehnten gelernt, voraussehbar formelhaft und nur in seiner Inkonsistenz konsistent.

© DC Comics

Mein Pitch für DC Comics: Midlife Crisis on a single Earth

Was ich viel lieber lesen möchte als 250 Held*innen in Spandex durch die Galaxie schießen zu sehen: Clark Kent in der Midlife Crisis. Was geht nach Jahren der Superkämpfe in ihm vor? Was denkt er, wenn er am Frühstückstisch das Konkurrenzblatt vom Daily Planet liest? Macht Flash Yoga und Meditation, um zu entschleunigen? Was macht es mit Batman, dass der rechtzeitige Gang zur Therapie ihm ein normales Leben ermöglicht hätte?

Die für mich interessanteste DC-Crisis von allen war für mich eine, die oft übergangen wurde: Identity Crisis von Brad Meltzer. Hier geht es nicht um die Zerstörung von allem und jedem durch Typen, die so richtig böse sind. Es geht um einen tiefen Vertrauensbruch innerhalb der Justice League. Und hier wurde das Kunststück vollbracht, allen Superheld*innen genug Raum einzuräumen.

Kurz gesagt: Lieber tiefere Entwicklung einzelner Kernfiguren als gigantische Storylines, in der jede Figur zwei Sätze beisteuern darf, um den Plot voranzutreiben. Lieber ein paar Seiten Platz für einen echten Dialog als die nächste Doppelseite voller Laserstrahlen. Konsequente Weiterentwicklung der Charaktere wie im Manga - zumindest für 10 Jahre einmal.

Das Thema Multiversen und Alternativ-Erden darf gerne ausgespart werden. Ich höre schon die Stimmen "Aber Erde Eins war eine fantastische Serie bei DC!" Richtig, Batman, Green Lantern, Wonder Woman, Superman haben hier super Auftritte gemacht. Aber zwei Vorschläge: Entweder wir nehmen diese Nebenserien als Maßstab für die zukünftigen Hauptserien. Oder: Wir betrachten diese Geschichten als das, was sie sind: als Bücher, die für sich existieren und die nicht in die Logik eines Multiversums eingeflochten werden müssen. Machen wir uns nicht vor, dass die Beziehungen zwischen Erde-1, Erde-0 und Erde-Prime ein ausschlaggebender Grund für gute Stories in der DC-Kontinuität gewesen wären.


Komplexe serienübergreifende Megaevents? Ja, klar!

Und falls das hier missverständlich ist: ich bin bereit, mich in eine komplexe Comicwelt einzuarbeiten. Mega-Events mit Sonderbänden, Limited Issues, Spin-Offs, Monster-Editions und Co. bereichern mein Nerd-Leben durchaus. Aber gerne in ganz neue Richtungen ohne Paralleldimensionen, Zeitreisen und alternative Realitäten - das wurde nun auserzählt.

Der Anstoß zu diesem Eintrag war die Lektüre von Dark Crisis #1, eines Events, das in den USA längst abgeschlossen ist. Ich habe mich bewusst von Spoilern ferngehalten, viele wissen schon mehr als ich. Aktuell deutet aber alles daraufhin, dass diese Story more of the same bietet und keine gravierenden Überraschungen warten.





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